Heute schon bewusst falsch entschieden? Über ein Dilemma im Projektalltag.
Hätten Sie lieber die Pest? Oder darf es doch Cholera sein?
Entscheidungen zu treffen ist eine Kernkompetenz, mit der sich jede Person im oberen Management auseinandersetzt. Doch nicht nur Manager, sondern auch viele andere Berufsgruppen sehen sich täglich mit Entscheidungen konfrontiert. Dies geschieht oft unbewusst und belastet uns meist nicht stark, da viele Entscheidungsprozesse automatisch ablaufen. Allerdings gibt es auch Entscheidungen, die uns schwerfallen, unangenehm sind oder die wir unbewusst hinauszögern in der Hoffnung, dass sie später nicht mehr notwendig sind. Manchmal möchten wir sie am liebsten ganz vermeiden und schieben sie lange vor uns her. Sobald wir uns für eine Option entschieden haben, scheint sie oft die falsche zu sein. Doch auch die Wahl einer anderen Option bringt keine Zufriedenheit, denn egal, welche Entscheidung getroffen wird, bleibt ein ungutes Gefühl. Kommt Ihnen das bekannt vor?
Falls ja, könnte es sein, dass Sie in einer Figur-Grund-Wahrnehmung feststecken. Das bedeutet, dass bestimmte Wahrnehmungen in den Vordergrund rücken und bewusst wahrgenommen werden, während der Rest in den Hintergrund tritt. Das Tückische an dieser Wahrnehmung ist, dass sie je nach Perspektive ein völlig anderes Bild ergeben kann. Kennen Sie das Bild „Meine Frau und meine Schwiegermutter“ vom US-Cartoonisten William Ely Hill? Es handelt sich dabei um ein Porträt einer jungen Frau, die dem Betrachter abgeneigt ist. Gleichzeitig ist aber auch die Schwiegermutter auf dem Bild zu sehen, die aus einem anderen Blickwinkel betrachtet seitlich posiert. Das Bild ändert sich je nachdem, was das Gehirn bewusst wahrnimmt – die Frau oder die Schwiegermutter.
Larry Hirschhorn (1999) beschreibt ein psychologisches Konzept, das bei Entscheidungen zum Verhängnis werden und zu einem strategischen Dilemma führen kann. Dies geschieht immer dann, wenn eine Entscheidung mit einem Risiko verbunden ist, das durch die andere Entscheidung hätte vermieden werden können. Die andere Entscheidung beinhaltet jedoch selbst wieder ein Risiko, das mit der ersten Wahl hätte vermieden werden können. Laut Hirschhorn wird damit die Entscheidung selbst zum Risiko, denn egal, für welche Variante man sich entscheidet, das Ergebnis könnte sich als nachteilig erweisen, wenn das Risiko eintritt. Es geht also nicht darum, zwischen zwei „schlechten“ Optionen auszuwählen, sondern vielmehr zwischen zwei Risiken. Hier gibt uns Larry Hirschhorn eine wichtige Lektion für den Geschäftsalltag mit.

Er sagt nämlich, dass es in solchen Situationen sinnlos ist in Kompromissen zu denken, daher, beide Risiken vermeiden zu wollen und dabei hoffen, dass die Schwierigkeiten irgendwie umschifft werden können. Stattdessen schlägt er vor, sich bewusst auf eine Entscheidung zu konzentrieren, sinnbildlich verstanden, entweder auf die Frau oder auf die Schwiegermutter, und das dazugehörende Risiko als Kontext zu betrachten, das es schlussendlich zu kontrollieren gilt. Die eigentliche Entscheidung ist deshalb nicht, ob mir Option A oder B besser gefällt, sondern ob ich lieber mit dem Risiko A oder dem Risiko B leben möchte. Hirschhorn spricht hier auch vom "Primary Risk", also, das primäre Risiko.
Larry Hirschhorn gibt uns ein Rezept mit, wie wir solche Entscheidungssituationen effektiv angegangen werden können:
- Zuerst geht es darum, die Entscheidungen zu verbalisieren: was sind die Risiken, die im Spiel sind? Wie stehen sie zum möglichen Entscheidungsspielraum? Welche Risiken würden durch eine Entscheidung aufgelöst oder kreiert? Immer wenn es eine wechselseitige Beziehung zwischen Risiko und Entscheidung gibt haben wir eine Figure-Ground Konstellation.
- Im zweiten Schritt geht es darum, die ambivalenten Gefühle mit dem Risiko im Hintergrund zu interpretieren. Was löst das Risiko aus, welches im Hintergrund mitschwingt? Warum handelt es sich um eine Situation die vermieden werden muss?
- Welchen Einfluss haben die ambivalenten Gefühle mit dem Risiko im Hintergrund auf die getroffene Entscheidung? Wie behindern diese Gefühle eine Umsetzung der getroffenen Entscheidung?
- Im nächsten Schritt geht es darum, die ambivalenten Gefühle aufzulösen und zu akzeptieren, denn dadurch kann die Entscheidung in die effektive Umsetzung gehen.
- Das Risiko im Hintergrund wird in eine bessere Beziehung zur Entscheidung gebracht, so dass es für die Geschäftstätigkeit und die Umsetzung Sinn ergibt und die entscheidende Person die Umsetzung der Entscheidung entschlossen angehen kann.
In Organisationen können wir allerdings oft beobachten, wie die Entscheidungen herausgezögert werden. Lieber nochmals ein Befund einholen, noch eine weitere Abteilung mit einbeziehen und noch eine belanglose Abklärung beauftragen. Die versteckte Botschaft dahinter: ich entscheide mich erst, wenn ich mir sicher bin, dass mir der Entscheid später nicht auf die Füsse fliegt und damit Tür und Tor für kritische Stimmen öffnen würde. Meistens geht dies mit Schuldzuweisungen gegenüber denjenigen einher, die nach der Meinung des Entscheiders nicht die nötige Sicherheit vermitteln. Korrekterweise müsste der Entscheider jedoch mitteilen können, was er noch wissen muss, um seine Wahl zu treffen und welche Risiken bewusst in Kauf genommen werden.
In der Praxis liegt der Handlungsdruck oft bei denjenigen, die umsetzen und nicht bei denjenigen die entscheiden müssen. Gerade als Projektleiter zeichnet sich gerne die Situation ab, dass Resultate präsentiert werden müssen, diese jedoch massgeblich von der Entscheidung des Auftraggebers oder des Projektsponsors abhängig ist. Hier ist der Projektleiter in einem organisatorischen Dilemma, aus dem er nicht selbst herauskommt.
Die gute Nachricht: ein externer Projekt-Coach kann hier viel bewegen. Denn er schafft Klarheit darüber, welche inhärente Risiken in einer Entscheidung liegen. Dies erlaubt den Entscheidungsprozess methodisch so aufzugleisen, dass alle am gleichen Strick ziehen und Schritt für Schritt zum Ziel kommen.
Stecken Sie in einer ähnlichen Situation fest? Dann nehmen Sie Kontakt mit uns auf.
Quellen:
Hirschhorn, Larry. „The Primary Risk“. Human Relations 52, Nr. 1 (Januar 1999): 5–23. https://doi.org/10.1177/001872679905200102.

